Triathlon ist geil! Triathlon boomt! Aber Triathlon ist eben oft nicht alles! Und wenn es am schönsten ist, soll man ja bekanntlich aufhören. Aber wer macht so etwas dann auch wirklich? Das habe ich mich bei der Recherche zum nächsten Interviewgast gefragt. Diesmal ohne vorgefertigten Fragenkatalog, ergaben sich die Antowrten in einer einundvierzigteiligen Email-Korrespondenz. Florian Wildgruber war von 2013 bis 2015 bei den Weltmeisterschaften immer auf den vorderen Plätzen. 2016 wurde er sogar Ironman 70.3 Europameister in der AK25. Und schließlich krönte er sich im gleichen Jahr mit der begehrten Finisher-Medaille auf Hawaii. Doch irgendwas stimmte nicht. Im fünften Teil der „Interview mit“-Rubrik erzählt Florian über sein abruptes (offizielles) Karriereende und über seine Lebensträume, die im täglichen Training mit ihm tanzten. Außerdem haben wir über den Leistungsgedanken, gerade bei uns Altersklassenathleten, gesprochen und weshalb wir alle unsere Glücksmomente ab und an verbauen. Und wenn wir schon der Story eines ambitionierten Ex-Europameisters lauschen, fragt sich: Wie hat er das eigentlich mental gehändelt? Und welche konkreten Tipps fürs Mentaltraining hat er, um seine individuell besten Leistungen auf die Strecke bringen zu können? Das alles und ein vielsagendes Abschluss Statement an uns Triathleten lest ihr ab heute in drei Teilen. Viel Spaß beim „Gedankentanken“.
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Florian, als Warm-Up: Was sind Deine Gedanken zu diesem Foto von Dir?
Das Foto ist in den Anfängen meiner Karriere entstanden und für mich bis heute bezeichnend. Wenn Du „Großes“ vorhast, musst Du regelmäßig auch mal Sachen machen, die nicht jeder macht, und Risiken in Kauf nehmen. Erfolg ohne Risiko ist schlichtweg nicht möglich. Meistens ist aber die Angst auch größer, als die möglichen negativen Folgen.
Statt daran zu leiden, genießt Du, wie Du sagst, Deinen „Realitätsverlust“ – wie meinst Du das?
Wer meine Story ein wenig kennt, der weiß, dass eine gewisse Portion Realitätsverlust bei mir immer notwendig war, um vorwärts zu kommen. Hätte ich immer das getan, was andere für „realistisch“ gehalten hätten, dann würde ich heute vermutlich nicht einmal laufen können. Aber ich sehe mich da nicht als Ausnahme. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir viel zu oft und zu schnell (von einzelnen Menschen und dem „System“) gesagt bekommen, was scheinbar funktioniert und was nicht. Wenn man mit solchen Aussagen ständig konfrontiert wird, fängt man irgendwann an, das auch zu glauben. Dabei werden wir als Menschen mit Realitätsverlust geboren! Einem kleinen Kind ist schlicht und ergreifend scheißegal, was andere für realistisch halten. Es macht einfach! Selbst nach 400-500 Mal Hinfallen gibt es nicht auf, so lange bis es laufen kann.
Wenn man als Erwachsener dann an einer Sache zwei oder drei Mal scheitert, stempeln wir es ziemlich vorschnell als unrealistisch ab. Was brauchen wir also? Diesen gesunden Realitätsverlust haben wir alle schon in uns, wir müssen ihn nur öfter ausleben und genau dafür sind Menschen in unserem Umfeld notwendig. Menschen, die uns das Gefühl geben, dass wir ok sind, so wie wir sind. Mit all unseren Stärken und all unseren Schwächen. Wir brauchen jemanden, der an uns glaubt, anstatt alles schlecht zu reden. Wenn das gegeben ist, dann heißt es: fight for your goals!
Ohne öffentlich sichtbaren Grund vom triathletischen Erfolgszugs abspringen, das suggeriert zunächst auch irgendwie Realitätsverlust – wie bei der Supermanpose, wo Du bewusst Risiken in Kauf nimmst. Kannst Du uns kurz nachskizzieren, was Du am 28. November auf deinem Facebook-Profil öffentlich gemacht hast?
Ironman? Warum tut man sich so etwas an? Diese Frage bekommt ein Triathlet vermutlich jede Woche gestellt. Man gibt zwar irgendeine Antwort darauf, aber ob das dann wirklich die richtige Antwort ist, weiß man vielleicht selbst nicht einmal. Wenn man aber weiß, warum man sich die ganzen Torturen antut, dann ist man auch bereit, Entbehrungen in Kauf zu nehmen und sich zu schinden. Ich habe 2010 mit dem Triathlon angefangen und schon recht bald hat sich für mich das große Ziel, der Traum vom Ironman Hawaii, herauskristallisiert. Ich habe angefangen, alles dem Sport unterzuordnen. Kaum Zeit für Freunde und Familie, kaum weggehen, jedes Training durchgezogen, auch wenn ich noch so wenig Lust dazu hatte. Zugegeben: Ich hatte sehr viel Spaß an diesem Sport, genauso gab es aber auch viele Momente, in denen es nicht lief oder in denen ich keine Lust hatte.
Nachdem die Saison 2015 gehörig in die Hose ging, war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen. Aber wenn ich in den letzten Jahren vor allem eines gelernt habe, dann war es die Tatsache, dass man nie etwas aus einer Emotion heraus einfach hinwirft. Also habe ich angefangen, mir darüber Gedanken zu machen, was ich als Triathlet noch erreichen möchte. So kam mir eben wieder der Ironman Hawaii in den Kopf. Es gab einige Leute, die gesagt haben: „Mach noch keinen Ironman. Du bist noch zu jung. Warte noch ein paar Jahre.“ Ja, vielleicht wäre das vernünftig gewesen. Aber vernünftig war ich in meinem Leben eher selten. Ich finde unvernünftig meistens viel spannender! Also habe ich noch 2015 mein Training umgestellt und mich auf einen Start beim Ironman Hawaii vorbereitet. Als ich dann am 8. Oktober 2016 über die Ziellinie auf dem Alii Drive gelaufen bin, habe ich am Anfang gar nicht wirklich realisiert, was jetzt gerade passiert ist.
„Wir brauchen niemanden, der uns sagt, wie etwas geht, sondern jemanden, der uns dazu inspiriert, das zu tun, was wir lieben.“ – Florian
Ich habe mir den Traum, für den ich 7 Jahre lang gekämpft habe, gerade erfüllt! Eigentlich sollte es einer der schönsten Momente meiner Sportlerkarriere werden. Ich dachte, dass die Erfüllung dieses Traums der ultimative Kick ist. Die oberste Stufe der Lifestyle-Pyramide quasi. Stattdessen lag ich am Abend im Bett und war einfach nur traurig. Ich war an der Spitze angekommen (klar könnte ich meine Zeit oder die Platzierung noch verbessern, aber das würde für mich keinen großen Unterschied machen), was im Umkehrschluss bedeutete, dass es von dort nur noch bergab geht, wenn ich mit der gleichen Zielsetzung weitermache. Ich hatte so viel in den Sport investiert und lange Zeit ein sehr asoziales Leben geführt und dann bleibt am Ende vor allem eine Frage stehen: „War’s das alles wert?“ Aber im Endeffekt geht es gar nicht darum, ob es das alles wert war. Es geht nicht darum, was Du durch das Erreichen Deines Traums bekommst, sondern wer Du dadurch geworden bist. Ich dachte immer, dass es im Triathlon ums Gewinnen geht, aber das tut es auch nicht. Es geht ums Meistern! Der Triathlon hat aus mir den Menschen gemacht, der ich heute bin und dafür bin ich sehr dankbar, auch wenn ich dafür teilweise einen hohen Preis gezahlt habe.
Es war nie das Ziel, sondern der Weg dorthin, der das Ganze erst so richtig wertvoll gemacht hat! Eine Challenge, die mich geformt hat und ich bin stolz und glücklich, sie gemeistert zu haben und es gibt jetzt für mich jetzt nichts Aufregenderes als auf die Jagd nach neuen Lebensträumen zu gehen. Mit viel Spaß und einer ordentlichen Portion Unvernunft.
Kannst Du verstehen, wenn manche Leute es nicht fassen können, dass Du nach Deinem furiosen Ironman Finish auf Hawaii und den ganzen Erfolgen einfach so aufgehört hast? Du bist gerade einmal 26 und hättest noch viel mehr erreichen können – Stichwort Leistungsgesellschaft, immer noch einen drauf legen wollen…
Klar kann ich es verstehen, dass sich manche Leute darüber gewundert haben. Schließlich gab es ja, zumindest nach außen hin, keinen offensichtlichen Grund. Selbstverständlich hätte ich noch viele Jahre weitermachen können, denn schließlich bin ich mit Mitte 20 gerade mal in der Blühte meiner körperlichen Leistungsfähigkeit angekommen. Ich habe den Leistungssport auch nicht hingeschmissen, weil er mir keinen Spaß mehr gemacht hat, sondern weil ich nicht mehr bereit war, den Preis dafür zu bezahlen.
Wie so oft im Leben, zahlt man für alles seinen Preis und je größer das Ziel, desto größer der Preis dafür. Ich habe lange Zeit den Preis dafür gezahlt, indem ich beispielsweise sehr wenig Kontakt zu Freunden hatte oder auch das Leben nicht immer so genießen konnte, wie ich es wollte. Das habe ich gerne in Kauf genommen. Ich war bereit, diesen Preis zu zahlen. Jetzt wo ich mit dem Hochleistungssport aufgehört habe, zahle ich den Preis dadurch, dass ich eben nicht mehr dieses geile Gefühl bei einem Zieleinlauf erlebe. Oder nicht mehr die Anerkennung von außen für meine sportlichen Leistungen bekomme. Dafür kann ich das Leben jetzt auf andere Weise genießen. Ich glaube, dass wir zu oft mit dem Gedanken durchs Leben laufen, ein und dieselbe Sache immer noch besser machen zu wollen. Ich dachte auch lange Zeit, dass es im Triathlon immer nur ums Gewinnen geht.
Die Leistung sollte nicht das Qualitätskriterium Nummer eins sein. Denn das Erreichte ist nur dann wertvoll, wenn es auf mehreren Säulen (Freunde, Familie usw.) aufbaut und nicht nur an den Ergebnissen gemessen wird. Viel zu oft steht die Leistung im Vordergrund. Das raubt einem nicht nur irgendwann den Spaß an der Sache, sondern vor allem auch die Energie weiterzukämpfen. Dabei tut es nicht nur extrem gut, wenn man ab und an mal über den Tellerrand hinausschaut, sondern es gibt dem Leben auch eine gewisse Portion Leichtigkeit. Leichtigkeit und Leistung schließt sich nicht zwangsläufig aus. Ich werde auch in Zukunft große Ziel verfolgen. Ziele für die ich einen Preis zahlen werde. Aber sicherlich werde ich das mit mehr Leichtigkeit und Lebensfreude tun, als ich es lange Zeit im Leistungssport gemacht habe.
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Soviel zu Florians „Triathlon-Exit“…Teil 2 & 3 findest Du hierunter. Fragt sich, ob Florian jetzt überhaupt noch triathloninfiziert ist? Außerdem wollte ich von ihm wissen, wie er Triathlon in Bezug zum Leistungsgedanken im Altersklassensport sieht. Ach so und ein paar Emotionen dürfen auch nie fehlen – sein krassestes Triathlon-Up bzw. Down verrät uns Florian im nächsten Teil.
Teil 2: Warum wir unsere Glücksmomente oftmals verbauen
Teil 3: Seine Strategie für’s Mentaltraining
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